Die WTO-Mitglieder haben sich verpflichtet, bei Handelsstreitigkeiten keine unilateralen Massnahmen zu ergreifen, sondern Gebrauch vom WTO-Streitbeilegungsmechanismus zu machen. Das zentrale Organ der Streitschlichtung ist die Streitschlichtungsbehörde (Dispute Settlement Body, DSB). Die Streitbeilegung beginnt mit einer Konsultationsphase. Wenn die Parteien innerhalb von 60 Tagen keine Lösung finden, wird auf Antrag der beschwerdeführenden Partei eine Sondergruppe aus unabhängigen Experten (ein sogenanntes Panel) eingesetzt, welche die rechtliche Beurteilung des Falls vornimmt. Im Anschluss haben die Parteien die Möglichkeit, beim ständigen Berufungsausschuss (Appellate Body) in Berufung zu gehen. Wird eine Verletzung der WTO-Regeln festgestellt, wird die Partei, die den Streitfall verloren hat, dazu angehalten, ihre Massnahme in Einklang mit WTO-Recht zu bringen. Das WTO-Mitglied kann selbst entscheiden, ob es die Massnahme abschaffen oder Anpassungen vornehmen will. Nur wenn die rechtverletzende Partei dem nicht nachkommt, hat die geschädigte Partei die Möglichkeit um Erlaubnis für Vergeltungsmassnahmen zu bitten. Der WTO-Streitbeilegungsmechanismus ist ein effizientes Mittel, die Einhaltung der Regeln im internationalen Handel zu erreichen und hat eine ausgleichende Wirkung: Im Streitbeilegungsverfahren können auch kleine Länder einen Fall gegen grosse Handelsmächte gewinnen.
Die WTO bietet den Mitgliedern eine Plattform, um handelsbezogene Anliegen und Differenzen miteinander zu diskutieren. Ein zentrales Element dafür ist die Streitschlichtung.
Bedeutung für die Schweiz
Für die Schweiz als kleines Land ist ein regelbasiertes Handelssystem von grosser Bedeutung. Während die Schweiz sich noch nie im Rahmen eines Streitbeilegungsverfahrens verteidigen musste, hat sie bereits zwei Mal geklagt (2002, 2018). Beide Fälle betrafen Ausgleichsmassnahmen der USA auf Stahl und Aluminium.
Im Landwirtschaftsbereich begleitet die Schweiz einen aktuellen Fall zwischen der EU und den USA, der Ausgleichsmassnahmen auf spanischen Oliven betrifft, als Drittpartei (DS 577 US – Ripe Olives from Spain). Als Drittpartei muss die Schweiz keine offizielle Position beziehen, erhält aber privilegierten Zugang zu Informationen, die den Streitfall betreffen. Obwohl der Streitfall hauptsächlich auf das Subventionsabkommen fokussiert, besteht die Möglichkeit, dass agrarpolitisch relevante Fragen diskutiert werden.
Seit einiger Zeit steht die Streitbeilegung im Zentrum der Reformbestrebungen des multilateralen Handelssystems. Die anhaltende Blockade durch die USA der Ernennung neuer Mitgliedern des Appellate Body hat dazu geführt, dass dieses Organ seit Dezember 2019 nicht mehr operativ ist und daher im Moment keine neuen Berufungen behandeln kann. Gemeinsam mit weiteren WTO-Mitgliedern hat die Schweiz eine vorläufige multipartite Vereinbarung ausgearbeitet, die ein Berufungsverfahren mittels Schiedsgericht vorsieht. Zurzeit nehmen insgesamt 21 WTO Mitglieder an diesem Mechanismus teil. Dieses Verfahren stützt sich auf die bestehenden WTO-Regeln und gelangt zwischen den teilnehmenden Mitgliedern nur so lange zur Anwendung, bis der Appellate Body erneut funktionsfähig ist. Der Bundesrat hat am 3. April 2020 beschlossen, dass die Schweiz sich dieser Vereinbarung anschliesst.
Übersicht bedeutende Agrarstreitfälle
In diesem Streitfall zwischen den USA und China geht es um Chinas Marktpreisstützung für Produzenten von Weizen, Reis und Mais. Die Berechnung der Marktpreisstützung wurde von den USA angezweifelt. Das Panel gab den USA insofern recht, als dass sie bestätigten, dass für die Berechnung der Höhe der Marktpreisstützung die gesamte Produktion massgebend ist und nicht nur die Menge der Produktion, die effektiv von der Marktpreisstützung profitiert hat. China hat in den betroffenen Jahren also zu niedrige Marktstützung für diese Produkte ausgewiesen. Die korrekte Berechnung der Marktpreisstützung führt dazu, dass China ihre WTO-Verpflichtungen in den entsprechenden Jahren nicht einhalten konnte. China ist nicht in Berufung gegangen und hat nun bis Ende Juni 2020 Zeit, das Urteil umzusetzen.
In diesem Streitfall zwischen der EU und Kanada und Norwegen, kritisierten Kanada und Norwegen, das Importverbot der EU für Robbenprodukte. Obwohl dieser Streitfall nicht das Agrarabkommen betrifft, hat der Entscheid eine gewisse Bedeutung für die Landwirtschaft, da das Panel explizit anerkennt, dass das Tierwohl in der EU Teil der öffentlichen Sitte ist. Allerdings verlor die EU den Fall trotzdem, da die Regelung bestimmte Ausnahmen für Robbenprodukte mit Ursprung in der EU und gewissen Drittländern vorsah. Da diese Ausnahmen nicht begründet werden konnte, wurde die Massnahme als arbiträr und damit handelsverzerrend eingestuft.
Dieser Streitfall zwischen Argentinien und Chile betrifft das Zollsystem von Chile für Weizen, Weizenmehl, Zucker und pflanzliche Speiseöle. Gemäss dem sogenannten Preisbandsystem berechnete Chile den Zollansatz jeder Lieferung so, dass Schwankungen im Weltmarktpreis ausgeglichen werden. Das Panel und der Appellate Body gaben Argentinien Recht und sahen im Preisbandsystem eine variable Zollabgabe, welche gemäss Agrarabkommen verboten ist.
Die USA verlangten die Einberufung eines Panels, um Kanadas angeblich gewährten Exportsubventionen für Milchprodukte und deren Verwaltung des Milchzollkontingents zu überprüfen. Die USA behaupteten, dass diese Exportsubventionen von Kanada die Märkte für Milchprodukte verzerren und den Absatz von Milchprodukten in den USA negativ beeinflussen. Damit würde Kanada gegen diverse Abkommen verstossen. Das Panel bestätigte die Auffassung der USA. Nach einer langen Phase der Umsetzung des Beschlusses, informierten Kanada und die USA den DSB, dass sie eine einvernehmliche Lösung erzielt hätten.
Die USA verlangten die Einberufung eines Panels gegen die Türkei über deren Einfuhrbeschränkungen für Reis aus den USA. Die USA kritisierten, dass man für die Einfuhr von Reis in die Türkei eine Einfuhrlizenz benötigen würde, die Türkei aber keine solche Lizenz für die Einfuhr von Reis zum gebundenen Zollansatz gewährt. Das Panel sah darin einen Verstoss gegen das WTO-Recht und bestimmte insbesondere, dass die Inlandleistung ein Verstoss gegen die Inländerbehandlung darstellt. 2008 teilte die Türkei dem DSB mit, dass sie die Empfehlungen des DSB umgesetzt haben.
Kanada und die USA verlangten die Einberufung eines Panels aufgrund des von der EU eingeführten Importverbotes auf hormonbehandeltes Fleisch. Das WTO-Recht (SPS-Abkommen) erlaubt es den Mitgliedern, sanitäre und phytosanitäre Standards anzuwenden, die strenger sind als internationale Standards. Allerdings nur, wenn gültige wissenschaftliche Beweise vorgelegt werden können, dass es sich bei dem Verbot um eine notwendige Massnahme zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung handelt. Der Appellate Body fand insbesondere eine Verletzung des WTO-Rechtes, da die EU keine adäquate Risikobewertung der Produkte gemacht habe. Da die EU auch nach dieser Entscheidung das Importverbot beibehielt, wurden die USA von der WTO ermächtigt, Ausgleichszölle zu erheben. Es folgten langjährige bilaterale Diskussionen, die 2018 in Form einer Vereinbarung abgeschlossen werden konnten. Als Resultat der Verhandlungen gewährt die EU eine zusätzliche Importquote für nicht-hormonbehandeltes Fleisch.
Die USA verlangte gemeinsam mit Ecuador, Guatemala, Honduras und Mexiko die Einberufung eines Panels gegen die Importregelung für Bananen der EU. Die Einfuhrbestimmungen der EU gewährten unterschiedliche Importbedingungen basierend auf dem Herkunftsland der Bananen. So profitierten Bananen aus den AKP Ländern von zollfreiem Marktzugang innerhalb einer festgelegten Kontingentsmenge während für Bananen von anderen Ländern innerhalb des Kontingents ein Zoll erhoben wurde. Das Panel wie auch der Appellate Body fanden in dieser Importregelung einen Verstoss gegen das grundlegende Prinzip der Nicht-Diskriminierung der WTO.
Letzte Änderung 05.01.2023
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